Wie reagiert die SPD auf einen Anschlag auf die Zukunft der Sozialdemokratie? Mit Trauer. Wie reagiert die deutsche Innenpolitik auf die Attentate? Reflexartig mit Freiheitseinschränkungen. Wie reagieren die Norweger auf die Katastrophe? Mit Bedacht, Vernunft und Offenheit.
Von Jürgen Schechler
Ich werde immer neidischer. Auf ein Land, das in einem Ausnahmezustand mit diesen Werten reagiert: mehr Demokratie, mehr Offenheit. Ich bin neidisch auf diese Nation; auf Norwegen. Wie kommt es, dass die knapp 5 Millionen Norweger schnell erkennen, dass eine reflexartige Reaktion einer freiheisbeschränkenden Sicherheitspolitik genau im Kalkül der Totalitätsabsichten von Attentätern ist, während hierzulande sofort die Forderung nach Vorratsdatenspeicherung laut wird.
Vielleicht muss man sich gegenwärtigen, dass in Norwegen die Haustüren nicht abgeschlossen werden. Dass also gegenseitiges Vertrauen auf einem sehr hohen Niveau ist. Man unterstützt sich gegenseitig, das solidarische Engagement ist sehr hoch. Diese drei Aspekte sind die zentralen Komponenten von Sozialkapital, einem gesellschaftlichen Faktor, der sich positiv auf die politische, soziale und wirtschaftliche Performanz eines Landes auswirkt.
Ein einzelnes Mitglied einer Gesellschaft bricht eine gesellschaftliche Norm. In Norwegen auf extremste Weise. Und die Norweger lassen sich ihren gesellschaftlichen Wohlfühlfaktor nicht nehmen. Diese zutiefst solidarische und zivilisatorisch hochentwickelte Gemeinschaft verdient nicht nur Respekt, sondern Dank für ihren Vorbildcharakter. Vielleicht erreicht der Attentäter letztlich das Gegenteil: Viele andere Länder lernen, wie man Terror entgegnen kann. Er hat sich das falsche Land ausgesucht. Und die falsche Partei!
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